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Ulla Fröhling.

Traumberuf Journalistin?

In den 80er und 90er Jahren wurde Recherche geschätzt, geübt, intensiv betrieben – und angemessen honoriert. Entsprechend hoch war das journalistische Ansehen. Jungen KollegInnen heute erzähle ich lieber nichts von den Rahmenbedingungen meiner Reisen nach Nepal, Pakistan, Kapstadt, Pematang-Siantar und an den Tobasee auf Sumatra, nach Shanghai und Bali. Das größte Geschenk damals: Zeit.

Anzeigenrückgang zog massive Budgetkürzungen nach sich. Arbeit wurde ausgelagert auf ein Heer unterbezahlter freier KollegInnen. Recherche lohnt nicht mehr. Daher kann man sich kaum noch auf den Wahrheitsgehalt vieler Nachrichten verlassen. Schon vor zehn Jahren zeigten internationale Studien, dass in Deutschland weniger recherchiert wird als in England, den Niederlanden, den USA. Wer recherchiert, verarmt. Wer aber schreibt, wie er meint, dass es war, kommt irgendwie durch und spart Geld. Diesem Trend verhalf 2000 Tom Kummer im Magazin der Süddeutschen Zeitung zur Blüte: durch gefälschte Interviews mit Hollywoodstars. Man kann das machen, aber Journalismus ist es nicht.

„Während die Medien immer mehr Macht bekommen, fühlt sich der einzelne Journalist immer ohnmächtiger“, sagte mir Antje Vollmer, als sie noch Vizepräsidentin des Deutschen Bundestags war. Ich bin erschrocken, wenn ich von journalistischen Arbeitsbedingungen heute und scheinbarer Wehrlosigkeit gegenüber den großen Medienkonzernen höre.

Das Netzwerk Recherche, ein Zusammenschluß von KollegInnen, stemmt sich seit 2001 entschlossen gegen den Trend. Als journalistischer Dinosaurier begrüße ich das von Herzen.

Seit Jahren kämpfe ich für bessere Berichterstattung über Gewaltopfer. Jeder Fußballreporter muß die Spielregeln kennen, bevor er ans Mikro darf. Er weiß, dass er bei laufendem Spiel nicht aufs Feld rennen und Schiedsrichter oder Torwart interviewen darf. Doch manche Journalisten gehen mit Verbrechensopfern um, wie es ihnen gerade nützt: ohne Fortbildung und ohne Empathie – und das ist ein Skandal. Daher unterstütze ich das Dart Center für Trauma und Journalismus.


Ulla Fröhling / Photo (c) Irmin Eitel

01.09.2015 17:42


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